Interview mit Sooni Kind zum Thema „Emotionen“

Quelle: www.blogyourhealth.de/gefuehle-verdauen, Stefanie Eickel

Nicht nur unsere Nahrung, sondern auch unsere Emotionen müssen „verdaut“ werden. Was bedeutet dies genau?

Gefühle scheinen ein Eigenleben zu führen, und die meisten Menschen wünschen sich, angenehme Gefühle wie Freude zu haben und unangenehme Gefühle wie Angst und Wut zu vermeiden. Ganzheitlich gedacht wissen wir jedoch, dass wir alles, was wir haben, uns auch zu Eigen machen müssen. Auf der grobstofflichen Ebene ist es die Nahrung: das Stück Käse, das ich gegessen habe, muss im Rahmen eines hochkomplexen Stoffwechselvorgangs in Aminosäuren zerlegt und vom Darm aufgenommen werden. Am Ende dieses Prozesses steht ein körpereigenes Eiweiß, das sehr individuell ist. Wenn Hanni und Nanni vom gleichen Käse essen, steht am Ende dieser Aneignung also ein völlig unterschiedliches Eiweiß.

Was für die grobstoffliche Ebene der Nahrung gilt, lässt sich auch auf die feinstoffliche Ebene der Emotionen übertragen. Emotionen sind unsere geistige Nahrung. Wir müssen sie uns aneignen, um ihnen nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Wenn Hanni und Nanni von einem Gefühl der Angst überrollt werden, wird jede von ihnen auf sehr unterschiedliche Weise mit dieser Emotion umgehen.

In der Vorstellung der alten Chinesen steht für diesen Prozess ein ganzer Hofstaat bereit:  die Lunge, die uns über unseren Atem mit dem Gefühl verbindet, so dass wir es überhaupt fühlen können, die Nieren, die uns die Angst davor nehmen und sie zulassen, die Leber, die unsere Emotion bewegt, damit sie nicht steckenbleibt, das Herz, in dem die Angst gefühlt wird und die für die Verdauung zuständige „Milz“, die das Gefühl verstandesmäßig erfassen und unterscheiden kann, ob es sich um eine konstruktive Emotion handelt, die uns nützt, oder ob uns dieses Gefühl eher schadet.

Wenn die Diener dieses Hofstaates, unsere „Funktionskreise“, gesund sind, können sie ihre Aufgaben gut erfüllen und mit ihren Kolleginnen und Kollegen so zusammenarbeiten, dass wir Gefühle empfinden und verarbeiten, also verdauen können. Der Hofstaat von Hanni und Nanni wird also herausfinden, welcher Art die Angst ist und Lösungsvorschläge für die Bewältigung anbieten. Dieser Prozess ist nichts Einmaliges oder Statisches, sondern ein Weg, den wir im Laufe unseres Lebens gehen. Dieser Weg führt uns in unser Eigenes, macht uns zu unverwechselbaren, authentischen Persönlichkeiten.

Dies ist keine Selbstverständlichkeit, weil wir oft gar nicht mit uns selbst in Kontakt sind und unsere Gefühle gar nicht bemerken. Dann führen unsere unverdauten Emotionen ein Eigenleben und können dort einiges anrichten. So bekommt die immer fröhliche Hanni vielleicht plötzlich Panikattacken und die coole Nanni beschleicht eine ständig drohende Angst. Es stimmt etwas nicht in ihrem Hofstaat, der schon von einem einzigen kranken Diener empfindlich gestört werden kann. Oft handelt es sich bei den unverdauten um verdrängte Gefühle. Sie verhindern, dass der Mensch in sein Eigentliches kommt. Bei Hanni und Nanni machen sie als Störfaktoren auf sich aufmerksam und senden eine Art Hilferuf: „Hallo, hier wurde uns etwas zugemutet, das wir nicht verdauen können – kannst Du das bitte herausfinden und helfen?“

Diesen Hilferuf hören viele Menschen sehr spät, und oft erst durch Krankheiten. Warum haben wir den Kontakt zu uns selbst und unseren Gefühlen verloren?

Da gibt es natürlich viele Ursachen. Eine wichtige Rolle spielt sicherlich die Angst vor unangenehmen Gefühlen. Angst, Trauer, Wut – darüber, welche Gefühle verboten sind, entscheidet nach dem Emotionsforscher Paul Ekman die Familie, in die wir hineingeboren werden.

Und natürlich spielt auch unsere Gesellschaft mit ihrem Anspruch und Versprechen auf Dauerglück eine Rolle: Wenn wir nur alles richtig machen, immer schöner, schneller und toller werden, dann werden sich solche Gefühle gar nicht erst einstellen.

Doch durch diese starke Außenorientierung verlieren wir unseren inneren Kompass. Um ihn zu entwickeln braucht es Zeit, innere Stille, Aufmerksamkeit und Beharrlichkeit, Eigenschaften, denen in einer Gesellschaft ständiger Beschleunigung keine Wertschätzung entgegengebracht werden. Eigenschaften und Gefühle, die in diese Welt nicht passen, werden verdrängt. Verdrängte Gefühle aber sind unverdaute Gefühle. Sie sind nicht einfach weg, weil wir sie nicht mehr fühlen. Sie lassen uns eine Weile in Ruhe, aber hinter der heiter-locker-fröhlichen Fassade bereiten sie in unserem Inneren ihre Rebellion vor. Mit einer unglaublichen Kraft brodeln sie unbemerkt in uns weiter.

Auch hinter der perfekten Fassade unserer coolen Nanni fängt es schon sehr bald an zu bröckeln, und Menschen wie Hanni-Sonnenschein landen irgendwann im Burn-out. Das Ziel der kleinen rebellischen Monster: sie wollen wahrgenommen und integriert werden. Dafür müssen wir sie verdauen, statt sie immer nur wegzuschieben.

Erst wenn die Bestätigung durch äußere Erfolge ausbleibt, merken wir unsere innere Leere. Denn wenn wir zwanghaft alles Schmerzhafte vermeiden, bringen wir uns um einen wichtigen seelischen Reifungsprozess. In einer Krise fehlen uns dann die inneren Ressourcen, mit denen wir uns auffangen und trösten könnten. Erst jetzt merken wir, wie fremd wir uns sind, wie wenig wir uns wirklich kennen.

Wenn das Getöse im Außen schweigt, das Handy nicht mehr klingelt, wir nicht mehr „gefragt“ sind, fallen wir ins Bodenlose. Oft ist aus dieser Fallhöhe der innere Hilferuf erstmals leise zu vernehmen. Menschen, die so etwas erlebt haben, sagen, dass diese innere Stimme sie so berührt habe, dass sie sich auf den Weg gemacht haben um herauszufinden, was sie ihnen sagen will.

Wie beeinflussen wir denn mit der Ernährung den „Verdauungsprozess“ unserer Gefühle?

Obwohl Nahrung und Emotionen für uns erst einmal zwei sehr unterschiedliche Paar Schuhe sind, haben sie doch einen großen Einfluss aufeinander. Denn im chinesischen Denken haben wir es lediglich mit zwei unterschiedlichen Schwingungsebenen zu tun: Dabei schwingt die Nahrung auf einer eher grobstofflichen, die Emotion auf einer vergleichsweise mehr feinstofflichen Ebene. Über das Analogie-System der 5 Elemente können sie jedoch einheitlichen Energiemustern zugeordnet werden.

Ein Beispiel dafür wären Leber, Wut und Chinakohl, die sich durch ein einheitliches Energiemuster dem Element Holz zuordnen lassen. Praktisch bedeutet das, der Chinakohl entspannt die Leber. Er kühlt unsere Leberhitze, die Wutgefühle hervorrufen oder unterdrücken kann. Gleichzeitig kann er der Leber aber auch helfen, mit unseren Wutgefühlen angemessen umzugehen, sprich: die Emotion Wut zu verdauen.

Wenn das Leber-Qi frei fließt, können wir die Emotion Wut in der Weise verdauen, dass wir sie annehmen und konstruktiv in unsere Persönlichkeit integrieren können. Dabei wird sich die Wut von Hanni einen anderen Weg bahnen als die von Nanni, auch wenn beide den gleichen Chinakohl essen. Es geht also nicht darum, dass eine gesunde Leber immer gleiche Verhaltensweisen hervorruft, sondern dass sie als Dienerin im Hofstaat „ihren“ Menschen darin unterstützt, einen ihm angemessenen Ausdruck zu finden. Für Nanni könnte das bedeuten, dass sie auch mal ihre Contenance verliert und losbrüllt, während Hanni sich still in ihr Zimmer setzt und ein Bild malt.

Dieser Mechanismus ließe sich für alle Emotionen beschreiben. Mit dem Wissen um das Qi von Nahrung, Gewürzen und Getränken, das die alten Chinesen in einem ausgeklügelten System von Thermik, Geschmack und Wirkrichtungen beschrieben haben, können wir hitzige Gefühle absenken, kalte und stagnierende Emotionen bewegen und Leber, Herz, „Milz“, Lunge und Nieren bei der Verdauung von Wut, Freude, Sorge, Kummer und Angst unterstützen.

Dies ist jedoch nicht mechanisch zu verstehen, nach dem Motto, jetzt esse ich mal ein paar Kirschen gegen meine Depression. Solche als „Tipps und Tricks“ getarnten einseitigen Kausalitätsketten sind einem ganzheitlichen Denken absolut fremd. Das chinesische Denken stellt immer den Menschen in seiner ganzen Komplexität in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und wendet sich somit gegen Plattitüden wie „ach Du, lass Deine Wut doch raus und iss mal kein Fleisch“.

Unsere innere Gefühlswelt ist ein kleines Atomkraftwerk, dem man sich mit Behutsamkeit und Respekt annähern sollte. Wir haben oft gute Gründe, wenn wir Gefühle unverdaut lassen. Die Folge ist jedoch immer ein Zustand von Verschlackung, den der amerikanische Psychiater Wilhelm Reich zutreffend als „Körper-Panzer“ beschrieben hat. Darin fühlt man sich dann oft so unwohl, dass selbst die schüchterne Nanni sagt: „Ich will hier raus!“

„Raus“ aus alten Gewohnheiten und ungesunden Konditionierungen, das wollen viele Menschen. Was gibt es dabei aus Sicht der 5-Elemente-Lehre zu beachten?

Ja, viele Menschen fühlen sich verschlackt und wollen wie unsere Nanni „da raus“. Zwar will die Werbung uns weismachen, dass es ein Zeichen maximaler Freiheit ist, essen und trinken zu können, was sie uns anbietet, aber schlechte Nahrung hat einen hohen Preis. Nach einer Weile gleichen wir so gar nicht mehr den schönen, strahlenden, schlanken Menschen, die Werbung machen für zuckerhaltige Getränke und Fertiggerichte. Und natürlich lässt sich die Welt auch besser ertragen, wenn wir abends vor dem Fernseher mit einer Tüte Chips abhängen und uns noch ein kleines Eis als Betthupferl gönnen.

Irgendwann sehen wir dann gar nicht mehr aus wie Heidi Klum, und wenn wir morgens aufwachen, fühlen wir uns „wie ein nasser Sack“. Und was nach Freiheit klingt, entpuppt sich als Entfremdung. Und dann wollen wir entschlacken: weg von zu viel Fett, Zucker, Alkohol und unserem nimmersatten Bauch, der nach all diesen Dingen giert und trotzdem keine Ruhe gibt, weil ihn das alles nicht wirklich zufrieden macht.

Auch in der 5-Elemente-Ernährung spielt das Thema Entschlackung eine große Rolle. Wenn wir zu viel und zu schlecht essen, werden Überschüsse im Bindegewebe abgelegt und wir nehmen zu. Weitaus schlimmer ist es jedoch, wenn die Schlacken in unseren Organen deponiert werden. Dann behindern sie unsere Funktionskreise bei ihrer Arbeit und können körperliche und seelische Probleme verursachen. Das „Nasser-Sack-Feeling“ ist ein Zeichen von Verschlackung und kann Niedergeschlagenheit und Ängste hervorrufen.

Ist die Leber verschlackt, können wir unsere aufsteigenden Energien nicht mehr konstruktiv nutzen, und wir wissen gar nicht mehr, was wir anfangen sollen mit unserem Leben. Wo wollen wir hin? Ein verschlacktes Herz kann sich nicht mehr freuen, eine zugemüllte „Milz“ gerät ins Grübeln, die Nieren reagieren mit Angst, die Lungen können unsere Lebensenergie nicht mehr ergreifen, und wir fühlen uns energielos und niedergeschlagen.

Mit einer auf unseren Konstitutionstyp und unsere Disharmonie-Muster zugeschnittenen Ernährung nach den 5 Elementen können wir diese Verschlackungen sukzessive auflösen. Dieser Prozess der Entschlackung darf jedoch nicht verwechselt werden mit einer Abnehm-Diät, deren Plan-Erfüllung uns von unseren Körperempfindungen abtrennt. Wie ich in meinem Artikel „Entschlacken mit den 5 Elementen“ für das Paracelsus Magazin im Mai 2015 geschrieben habe, sollte man auch nicht möglichst viele der klassischen Ausscheider wie Rettich, Miso, Shiitake wahllos und in großen Mengen essen. Dann wäre auch eine 5-Elemente-Ernährung nur eine andere Variante von Diät.

Die 5-Elemente-Ernährung ist keine kurzfristige Diät, sondern eine Ernährungsweise, bei der wir uns auf den Weg zu uns selbst machen. Und das beginnt damit, dass wir unseren Körper wahrnehmen und ihm das geben, was wirklich er wirklich braucht. Wenn wir geschwächte Funktionskreise stärken, werden sie uns auch wieder unterstützen, körperlich und seelisch.

Nach dem Motto aus dem Herrn der Ringe „nicht zu schnell und nicht zu geradenwegs“ sollte man sich für eine solche Umstellung Zeit nehmen und behutsam mit sich umgehen.

Wenn der Körper entschlackt, reinigt sich auch der Geist, und solche Prozesse brauchen Geduld und Beharrlichkeit. Dazu gehört auch ein nachsichtiger Umgang mit sich selbst. Wenn das Optimale nicht sofort geht, hilft oft ein „besser als“. Für Nanni wären heiße Kirschen mit Sahne zum Beispiel besser als Eiscreme mit Vanillesauce und Hannis Leber bekommt Weißwein besser als Rotwein. Das geht doch, oder?